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Mann oh Mann was für eine Wahl

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by nachtschnucke

Lieber Gerd,

ich darf doch Gerd sagen, denn jeder darf zu Dir Gerd sagen. Ich wollte Dich mal fragen, welches Zeug Du gestern vor der Elefantenrunde im Fernsehen genommen hast. Das muss wirklich erste Güte sein, denn Du bist abgegangen als hättest Du, nein, nicht den zweitbesten mit der Zweitbesten, sondern den besten Sex aller Zeiten. Das hatte nichts von Edmund Stoibers verfrüht-zaghaften – Uuuups schon fertig: „Wir haben die Wahl gewonnen.“ Nein, das war Machtgeilheit von nahezu Kohlschem Format. Nur prall-bildfüllender müsstest Du noch werden, dann würdest Du – ist der dick, mann - ihm in der Hinsicht zum Verwechseln ähnlich, dem größten Sozialdemokraten aller Zeiten.

Und dabei habe ich Dich mal gewählt. Spätestens jetzt zucken bislang 100 Prozent der Kollegen mit denen ich arbeite zusammen und sagen: „Nein, den Schröder, den habe ich doch nicht gewählt.“ Doch, doch. Ich war’s. War ich’s wohlmöglich ganz alleine? Nur, warum?

Eine Wahlentscheidung damit zu begründen: „Das mache ich so, weil ich es traditionell vom feeling her immer so mache“ turnt mich entschieden ab. Das ist eine ideologische Verblendung, die mich an eine Staatsführung erinnert, die es allein in puncto Meinungsfreiheit aus guten Gründen nicht mehr gibt. Die DDR hat es nicht geschafft. Ihre politische Führung war nicht fähig sich mit anderen Meinungen auseinander zu setzen, geschweige denn sie zuzulassen. Reflexartig war der Kapitalismus böse – aber die Subventionen aus dem Westen nahm man gern.

Die Kämpfe der 68er waren wichtig und richtig. Aber, hallo, - ich spreche jetzt mit dem einzigen Wort, dass ich bei den Zeugen Jehovas gut finde: Erwachet! - jetzt ist später, jetzt ist 2005! Ich habe dieses reflexartige Reagieren das den Intellekt des Menschen nicht von der Spinnmilbe oder Schnappi, dem Krokodil unterscheidet, satt, sooo satt. Knallrot, Rot und Grün = gut. Schwarz und Gelb = böse. Das gilt nur für diejenigen, die beim Betreten des Wahllokals ihr Gehirn zur Betreuung abgeben – und beim Hinausgehen einen Arbeitsspeicher dafür bekommen: Der Computer kann so klasse sein – am Ende kann der Rechner aber nur zwischen 0 und 1 unterscheiden.

Fatalerweise stellt sich bei mir nun ein anderer Reflex ein. Ich möchte das Beste von jeder Partei sehen. Und Achtung: Nun machen wir eine hübsche sozialpädagogisch-psychologische Übung zusammen – beim folgenden Satz kann jeder gleich einmal seine Reflexe überprüfen:

Ich will mehr über die Bildungspolitik der Union wissen, mich interessiert das Steuermodell der FDP, die Umweltpolitik der Grünen ist für mich in vielen Punkten grandios – und war die Wirtschaftspolitik der SPD für den Mittelstand wirklich so schlecht? Und (ok, das ist jetzt billig rhetorisch): Ist eine höhere Staatsverschuldung gut?

Kurz – mir wird zuviel aufgeplustert geschrien, zu wenig geantwortet und viiiel zu wenig gefragt. Ein Beispiel: Atomenergie. Schwarz-Gelb sagt – ganz stark vereinfacht - wir brauchen sie noch, weil uns sonst der Strom ausgeht. Rot-Grün sagt das reicht locker mit den regenerativen Energien. Und ich? Natürlich sind die Risiken der Atomenergie katastrophal. Aber was weiß ich wirklich darüber? Welche Produkte braucht es um regenerative Energien nutzen zu können – wie viel Umweltverschmutzung ist in der Herstellung von Solarzellen inbegriffen? Habe ich bei allen führenden Wissenschaftlern angerufen, habe ich mit Stromversorgern gesprochen, habe ich mich beim Statistischen Bundesamt über den voraussichtlichen Stromverbrauch der Bundesrepublik in den nächsten 20 Jahren – falls die sehr netten Leute dort dazu eine Statistik haben – informiert? Nein. Das war bislang noch nicht mein Thema. Sollte es vielleicht sein, wie vielleicht viele Themen mein Thema sein sollten.

Mein Thema war einmal die Frage: Was gehört dem Staat? Vom Bleistift über den Panzer bis hin zu Grundstücken – was ist Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Was gehört dem Staat, quasi uns allen. Nun bin ich nicht daran interessiert 1/1395834736 eines Panzers oder noch weniger zu besitzen. Aber ich wüsste schon gerne, wie viel wir alle auf der Kante haben, falls es hart auf hart kommt. Eine Inventur, eine Zahl, wie sie bei jedem Lidl um die Ecke jeden Abend vorliegen muss. Ich bin auch mit einer Hausmarke zufrieden.

Es müssen zehn Anfragen an das Ministerium Hans Eichels in drei Tagen gewesen sein. Das Bundesfinanzministerium wusste es nicht. Wahrscheinlich hat es ein Tante Emma-Laden einfacher seine Sachen zu verwalten, aber dafür ist auch kein offenbar aufgeblähter Apparat zuständig. Eine Liste mit der ich arbeiten konnte, bekam ich dann von einer anderen Quelle zugespielt. Die hätte mir auch das Ministerium geben können. Der nächste Gesprächspartner war der Bundesrechnungshof – sie stellten einen eklatanten Mangel an Informationen fest. Vorher versuchte ich einmal für eine politische Talkshow mitten in der Regierungszeit von Gerhard Schröder von Hans Eichels Mannen zu erfahren, wie es mit der Neuverschuldung aussieht. Dazu wurde mit vielen Worten nichts gesagt: Man könne dazu nicht sagen, weil... Obwohl man – wie ich hoffnungsvoll unterstelle - genau wusste, dass die Schulden steigen würden. Wenn man es wirklich nicht wusste, wäre das genauso realitätsfern, wie Dein Auftritt Gerd.

Was ich an der Union mochte, war die Ehrlichkeit, mit der sie gesagt hat, Kinder unsere Reformen werden weh tun. Was mir nicht gefällt ist die Union-Jungens-Rumpelstilzchen-Bande, die sich insgeheim feixend die Hände reibt: „Angie hat die Mehrheit nicht geholt. Nun tue ich so, als ob der Wähler nicht weiß, dass ich bei der nächsten Wahl, meinen Namen als den des Kanzlerkandidaten in die Runde schmeiß.“ Schon mal darüber nachgedacht, dass Dich, Dich oder Dich manche Wähler möglicherweise noch weniger wollen?

Lieber Gerd, ich würde Dir gerne noch mehr schreiben, dass ich Teile der Hartz-Reform gut finde. Dass ich es lustig finde, dass Du als Medienkanzler den Medien ungerechte Behandlung vorwirfst – wie ist man denn mit Angie umgegangen? Aber jetzt muss ich arbeiten.

Als Bundeskanzler hast Du Dich nicht nur gestern ziemlich disqualifiziert. Aber wenn Du die Mehrheit noch über Dresden oder die Direktmandate holst, sei es Wunsch der Demokratie. Plötzlich bin ich so resigniert, dass es mir egal ist, wer Kanzler wird. Hauptsache das Land kommt voran. Warum nicht auch mit der Jamaika-Koalition, klingt jedenfalls nach Sonne.

P.S.: Lieber Gerd, wenn ich Zeit hab’ mailde ich mich bald wieder, vielleicht hast Du ja dann auch bald mehr Zeit ;-).

P.P.S. Wählt was ihr wollt, aber denkt drüber nach. Ich meine so richtig, ganz ohne Reflexe.

P.P.P.S. Dieser Beitrag wurde absichtlich nach der Wahl verfasst, um nur noch Dresdner wähler zu beeinflussen.

Übrigens - ein schöner Text im SPIEGEL dazu, den ich erst nach meinem Blogeintrag gelesen habe, ehrlich ;-)

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,375319,00.html

Kommentare

rbrt am 2005-09-19 14:41:20

nette geschichte. ich habe am sonntag abend noch mit einem kiezbekannten drogenexperten gequatscht, der eine fundierte analayse des einnahmeverhaltens *aller* berliner-runde user abgeliefert hat. zu den risiken der atomenergie ist übrigens recht viel bekannt. es gibt zum beispiel solche parameter wie halbwertzeiten. wie würden sie vom feeling her die frage beantworten: "macht es ihnen etwas aus, wenn ich in ihrem keller ein paar alte brennstäbe lagern würde."?


nachtschnucke am 2005-09-19 14:47:50

rbrt: dankeschön

Gegenfrage: Würde es wem auch immer was ausmachen, wenn man ihm den Strom abstellen würde?


rbrt am 2005-09-19 16:33:27

"strom - nicht vom atom", bedeutet doch nicht den strom abzustellen, oder? aber es stimmt natuerlich auch: ich kann nur ausgeben, was ich auch einnehmen kann. leider will niemand einsehen, dass das auch fuer die energiebilanz der erde gilt. statt dessen wird geraubt und gepluendert. eine strategie, die ganze generationen mit hungersnot und hautkrebs bezahlen werden.


Jens am 2005-09-19 16:41:52

Strom aus dem Atom in den Geldbeutel von Herrn Pierer oder wie der Aufsichtsratchef von Siemens heisst.

Runter mit den Lohnnebenkosten auf Kosten der Arbeitnehmer für Herrn Hundt, seinerseits Arbeitgeberpräsident.

Es ist toll wie die CDU das wohl weniger auf Kosten aller möchte.

Ich kann Gerd auch nicht mehr sehen, aber gestern musste ich lachen, das müssen grosse Drogen gewesen sein, die Münti dem Gerd vorher gab.


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